LG Berlin zur Haftung von Ratingagenturen gegenüber Kapitalanlegern

 

 

 

 

30. April 2021 | Das Landgericht Berlin hat in einem Fall eines Anleihe-Ratings den Schadenersatzanspruch eines Kapitalanlegers gegen die Ratingagentur bejaht. Das Urteil stützt sich auf BGH-Rechtsprechung zu sog. Gewährspersonen und die Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Der Kapitalanleger hatte im Vertrauen auf das Rating eine Anleihe erworben. Der investierte Betrag konnte nicht zurückgezahlt werden, die Emittentin ist insolvent.

Das Landgericht Berlin hat in einem Fall eines Anleihe-Ratings den Schadenersatzanspruch eines Kapitalanlegers gegen die Ratingagentur bejaht. Das Urteil stützt sich auf BGH-Rechtsprechung zu sog. Gewährspersonen und die Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Der Kapitalanleger hatte im Vertrauen auf das Rating eine Anleihe erworben. Der investierte Betrag konnte nicht zurückgezahlt werden, die Emittentin ist insolvent.

Sachverhalt: Die beklagte Ratingagentur erstellte im Auftrag der Emittentin ein Rating zur Veröffentlichung im Wertpapierprospekt und für die Bewertung des konkreten Anleihe-Produkts. Der Emittent warb im Prospekt zweimal mit dem positiven „A-Rating“ für die Anleihe sowie mit der Sachkunde der Beklagten als europäische Ratingagentur. Das von der Ratingagentur ebenfalls festgestellte niedrigste Rating „CCC+“ für noch solvente Unternehmen wurde im Prospekt nicht erwähnt. Beides geschah in Kenntnis der Ratingagentur. Außerdem enthielt der Prospekt keine Informationen dazu, dass das Rating in Bezug auf die Anlage maßgeblich auf einem der Ratingagentur bekannten Kurzwertgutachten beruhte, das im Auftrag der Emittentin erstellt – von der Ratingagentur aber nicht auf Richtigkeit überprüft worden war. In diesem Kurzwertgutachten war der Marktwert der Anlage mit ca. 70 Mio. Euro angegeben worden – im Rahmen der Insolvenz der Emittentin wurde die Kapitalanlage lediglich mit rund 18 Mio. Euro bewertet.

Urteil: Das LG Berlin bejahte einen Anspruch des Kapitalanlegers auf Schadenersatz gegen die Ratingagentur aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB bzw. gemäß § 280 Abs 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.

In entsprechender Anwendung der vom Bundesgerichtshof zu den Gewährspersonen entwickelten Rechtsprechung führte das Gericht in seiner Urteilsbegründung aus, dass Ratingagenturen – wie Treuhänder oder Wirtschaftsprüfer – in besonderem Maße ein Vertrauen für eine Anleihe oder eine Beteiligung beim Anleger hervorrufen. Auch Ratingagenturen würden aufgrund der Autorität ihrer besonderen Stellung und/ oder aufgrund eines bei ihnen gegebenen Wissensvorsprungs in besonderem Maße Gewähr für die Sicherheit der Anleihe oder Beteiligung übernehmen und durch ihr Rating der gerateten Anlage, einem „Gütesiegel“ vergleichbar, eine zusätzliche Unbedenklichkeit bescheinigen sowie mehr Glaubwürdigkeit verleihen.

Das LG Berlin stützt seine Entscheidung insbesondere auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 08.06.2004, Az. X ZR 283/02 (NJW 2004, 3420, 3421 f.) zur Haftung des Wirtschaftsprüfers bei fehlerhafter Prüfung von Prospektangaben aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Laut BGH haftet der Wirtschaftsprüfer weniger für die Richtigkeit der fehlerhaften Angaben als vielmehr dafür, dass er mit seinem Prüfbericht Unbedenklichkeit bescheinigt bzw. Glaubwürdigkeit verleiht und dadurch die von dem fehlerhaften Prospekt ausgehende Gefahr für die Anlageinteressen erhöht.

Im vorliegenden Fall habe die Ratingagentur ihre Pflichten schuldhaft verletzt, indem sie ein positives Rating i. S. einer Unbedenklichkeitsbescheinigung erstellt und dabei aus wirtschaftlichem Interesse bewusst in Kauf genommen habe, dass das im Rahmen der Bewertung herangezogene und von ihr nicht geprüfte Kurzwertgutachten in Hinblick auf den Marktwert der Kapitalanlage fehlerhaft war. Auch habe sie positive Kenntnis von der Nicht-Erwähnung im Prospekt des von ihr festgestellten niedrigsten Ratings „CCC+“ für noch solvente Unternehmen gehabt und eine hieraus resultierende Gefahr für Anlageinteressen in Kauf genommen.

Nachdem das LG Berlin eine Haftung der Ratingagentur nach § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter bejaht hat, musste es nicht die Streitfrage entscheiden, ob sich eine sog. Sachwalter- bzw. Expertenhaftung bereits aus § 311 Abs. 3 BGB i. V. m. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB ergibt. Ebenfalls offen geblieben ist, ob das LG Berlin auch bei einem Unternehmensrating einen entsprechenden Schadensersatzanspruch des Kapitalanlegers gegenüber der Ratingagentur bejaht hätte.

LG Berlin, Urteil vom 05. Mai 2020 (Az. 11 O 5/19)

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