11. April 2019 | Der Bundesgerichtshof hat in einem aktuellen Urteil ausgeführt, dass die Pflicht des Anlageberaters, den Anleger persönlich über die wesentlichen Risiken des Geschäfts zu informieren oder zumindest darauf aufmerksam zu machen, dass der Prospekt weitere wichtige, über das Gespräch hinausgehende Hinweise enthalten kann, auch dann besteht, wenn ein Anleger die Entgegennahme eines Emissionsprospekts mit der Begründung ablehnt, dieser sei „zu dick und zu schwer“ und nur „Papierkram“.
Daraus sei ohne weitere Anhaltspunkte nicht zu folgern, dass der Anleger an einer Aufklärung über die Risiken des Investments in anderer Form nicht interessiert sei und auf ein persönliches Beratungsgespräch verzichte.
Tatbestand: Der Kläger verlangt von der Beklagten u.a. Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit verschiedenen Beteiligungen an geschlossenen Fonds (Schiffsfonds). Beraten wurde der Kläger auf der Grundlage einer Kurzinformation durch den damals für die Beklagte tätigen selbständigen Handelsvertreter, der den Kläger schon früher als Angestellter einer Bank in Vermögensangelegenheiten betreut hatte. Emissionsprospekte waren nach Ablehnung durch den Kläger (s.o.) nicht übergeben worden. Der Kläger wurde auch mündlich nicht über 15% übersteigende Vertriebsprovisionen aufgeklärt. Die Anlagen entwickelten sich nicht erwartungsgemäß.
Urteilsbegründung: Im Rahmen des Anlageberatungsvertrags sei der Anlageberater zu einer anleger- und objektgerechten Beratung verpflichtet. Er habe den Kunden rechtzeitig, richtig und sorgfältig sowie verständlich und vollständig zu beraten. In Bezug auf das Anlageobjekt muss der Anlageberater den Interessenten insbesondere über die Eigenschaften und Risiken unterrichten, die für die Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Der Anlageberater sei verpflichtet, unaufgefordert über Vertriebsprovisionen aufzuklären, wenn diese eine Größenordnung von 15% des von den Anlegern einzubringenden Kapitals überschreiten, da Vertriebsprovisionen solchen Umfangs Rückschlüsse auf eine geringere Werthaltigkeit und Rentabilität der Kapitalanlage eröffnen. Dies stelle einen für die Anlageentscheidung bedeutsamen Umstand dar.
Eine ordnungsgemäße Aufklärung könne nicht nur mündlich, sondern auch durch die Übergabe von Prospektmaterial erfolgen, sofern der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln, und er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor Vertragsschluss übergeben wird, dass sein Inhalt noch zur Kenntnis genommen werden kann.
Allein der Umstand, dass ein Anleger einen Prospekt nicht entgegen und die darin enthaltenen Informationen nicht zur Kenntnis nehmen will, befreie den Berater nicht ohne weiteres von der Pflicht, seinen Kunden über die wesentlichen Risiken des Investments aufzuklären. Diese entfalle erst dann, wenn der Anlageberater davon ausgehen darf, dass der Kunde den – die notwendige Aufklärung enthaltenden – Prospekt gelesen und verstanden hat und gegebenenfalls von sich aus Nachfragen stellt. Gerade dann, wenn ein Anleger mit einem bestimmten Anlagemodell noch keine oder wenig Erfahrung habe und sich – wie im vorliegenden Fall – einem Beratungsgespräch auch nicht generell verschließe, dürfe der Berater ohne konkrete Anhaltspunkte, dass nicht nur keine schriftliche, sondern überhaupt keine Aufklärung gewollt ist, nicht davon ausgehen, es komme dem Anleger nicht auf eine zumindest die wesentlichen Risiken des Investments umfassende Aufklärung an. Im Gegenteil dürfe der Anleger grundsätzlich erwarten, dass der Berater die Aufklärung in dem gebotenen Umfang (auch) in einem persönlichen Gespräch leistet und dabei in der Lage ist, die wesentlichen Aspekte des Anlagemodells einschließlich der für den Anleger potentiell bedeutsamen Risiken zu erläutern.
BGH (III. Zivilsenat), Urteil vom 07.02.2019 – III ZR 498/16
(Vorinstanzen:LG Hannover, Entscheidung vom 28.10.2015 – 11 O 344/14 –
OLG Celle, Entscheidung vom 15.09.2016 – 11 U 209/15 -)
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