21. Dezember 2022 | Der Bundesgerichtshof gab der Revison eines Anlegers statt und führte aus: Verlässt sich ein Anleger als Laie auf Auskünfte des insolventen Finanzdienstleisters, sein erworbenes Gold sei „insolvenzfest“ und unterlässt er eine Kontrolle des Beraters oder Vermittlers, so weist dies in erster Linie auf das bestehende Vertrauensverhältnis zum Anlageberater hin – nicht jedoch auf eine grob fahrlässige Unkenntnis anspruchsbegründender Umstände, die einen Verjährungsbeginn auslöst.
Der Bundesgerichtshof gab der Revison eines Anlegers statt und führte aus: Verlässt sich ein Anleger als Laie auf Auskünfte des insolventen Finanzdienstleisters, sein erworbenes Gold sei „insolvenzfest“ und unterlässt er eine Kontrolle des Beraters oder Vermittlers, so weist dies in erster Linie auf das bestehende Vertrauensverhältnis zum Anlageberater hin – nicht jedoch auf eine grob fahrlässige Unkenntnis anspruchsbegründender Umstände, die einen Verjährungsbeginn auslöst.
Sachverhalt
Der Kläger nimmt die Beklagte, ein Finanzdienstleistungsunternehmen, aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau im Wege der Teilklage auf Schadensersatz wegen (behaupteter) fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch. Der Kläger und seine Ehefrau schlossen im Jahr 2014 nach Gesprächen mit dem Geschäftsführer der Beklagten sogenannte Kauf- und Lieferverträge mit der in Berlin ansässigen „B. -Stiftung“ über insgesamt 95.000 € in Form des Modells „Gold Standard“.
Ausweislich des Verkaufsprospekts der B. -Stiftung war vorgesehen, dass die Kunden Eigentum an Goldbarren mit einer Reinheit von 99,9% erwerben sollten. Ende Februar 2015 fand im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens eine Durchsuchung der Geschäftsräume der B. -Stiftung statt. Dabei wurde festgestellt, dass von den vereinnahmten Anlegergeldern in Höhe von 57 Mio. € nur 324,486 kg Gold im Wert von etwa 10,58 Mio. € erworben wurden. Bei etwa 95% des in den Tresoren der B. -Stiftung lagernden Goldes handelte es sich um Falschgold. Von den Anlegergeldern wurden Immobilien erworben und Darlehen an verbundene Stiftungen vergeben. Überwiegend ist der Verbleib des Geldes ungeklärt.
Über das Vermögen der B. -Stiftung wurde am 17. Juni 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet. Hiervon erfuhren der Kläger und seine Ehefrau noch im selben Jahr und ließen sich anschließend anwaltlich beraten.
Die Beklagte hat sich unter anderem mit der Einrede der Verjährung klägerischer Ansprüche verteidigt. Mit Kenntniserlangung von der Insolvenz hätten dem Kläger und seiner Ehefrau Zweifel daran kommen müssen, dass die von ihm vorgetragenen Angaben des Geschäftsführers der Beklagten zur Sicherheit der Anlage und Insolvenzfestigkeit der Investition zutreffend gewesen seien.
In den Vorinstanzen hatte das Landgericht der Klage zunächst stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil ab und wies die Klage ab. Mit der vom Senat zugelassenen Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils an.
Urteil
Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Nach § BGB § 199 Abs. BGB § 199 Absatz 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist des § BGB § 195 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Dabei ist grundsätzlich die Tatsachen- und nicht die Rechtskenntnis entscheidend. Erforderlich ist, dass der Gläubiger um die anspruchsbegründenden Umstände weiß und nicht, dass er den Vorgang rechtlich zutreffend beurteilt.
Allerdings ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass in einem Fall, in dem bei einem Schadensersatzanspruch der haftungsauslösende Fehler in einer falschen Rechtsanwendung des Schuldners liegt, die Kenntnis dieser Rechtsanwendung als solche nicht ausreichen kann.
Vielmehr muss der Geschädigte Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis davon haben, dass die Rechtsanwendung fehlerhaft gewesen ist.
Die bloße Kenntnis der tatsächlichen Umstände vermag dem Laien aber noch keine Kenntnis der Pflichtwidrigkeit einer Handlung zu vermitteln. Dies hat das Berufungsgericht nicht bedacht und infolgedessen übersehen, dass beim Kläger und seiner Ehefrau von einer Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände erst ab dem Zeitpunkt ausgegangen werden kann, zu dem sie erfahren haben oder ihnen infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist, dass die (behaupteten) Angaben des Geschäftsführers der Beklagten über die „Insolvenzfestigkeit der Investition“ rechtlich unzutreffend waren.
Nach der Senatsrechtsprechung misst der Anleger, der bei seiner Entscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder -vermittlers in Anspruch nimmt, dessen Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen besonderes Gewicht bei. Daher stellt es in der Regel kein grobes Verschulden dar, wenn er ohne „dringenden Anlass“ davon absieht, dessen Angaben zum Beispiel durch Lektüre des Emissionsprospekts weiter zu überprüfen.
Unterlässt der Anleger eine Kontrolle des Beraters oder Vermittlers, so weist dies in erster Linie auf das bestehende Vertrauensverhältnis hin und ist deshalb für sich genommen nicht schlechthin unverständlich oder unentschuldbar im Sinne grober Fahrlässigkeit gemäß § BGB § 199 Abs. BGB § 199 Absatz 1 Nr. BGB § 199 Absatz 1 Nummer 2 BGB.
BGH, Urteil vom 20.10.2022 – III ZR 88/21
Vorinstanzen: OLG Köln, Urteil vom 20.05.2021 – Az. 24 U 114/20
LG Köln, Urteil vom 07.09.2020 – 22 O 366/19
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